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Der Weg zum gesunden Reitpferd

Autorin: Sarah Matti, Sannenreiter 

 

Von einem Pferd, das mit minimalen Hilfen zu lenken ist, dass in Selbsthaltung schreitet und einen, zu seinem Exterieur passenden, positiven Spannungsbogen beibehält, träumen alle Westernreiter. 

 

Doch wie kann dieses Ziel erreicht werden? Und wie werden Pferd und Reiter in der Ausbildung von ihrem Trainer diesbezüglich unterstützt? 

 

Die Ausbildungsskala im Westernreiten 

 

Im Training mit Pferden dienen die einzelnen Punkte der Ausbildungsskala als Orientierungshilfe. Wie auch im klassischen Reiten geht es beim Westernreiten um absolute Durchlässigkeit, Gleichgewicht und Selbsthaltung. Dies begleitet uns durch die ganze Ausbildung im Training der Pferde.  

 

Als oberstes Ziel gilt: “Ein Pferd bewegt sich grundsätzlich in allen Gangarten taktrein, losgelassen, in natürlicher Haltung und geradegerichtet, mit gutem Schub aus der Hinterhand, im Gleichgewicht ausbalanciert vorwärts.” 

 

Ausbildungsskala im Westernreiten gemäss EWU Regelbuch 2021 

 

Allerdings findet man den im klassischen Reiten verwendetem Begriff „Schwung“ nicht in der Westernskala, sondern wir reden von „Aktivierung der Hinterhand“. Damit gemeint ist die Schwingung des Pferdes in seiner Bewegung. Die Schwingung, bzw. Elastizität, geht durch den ganzen Körper und die Gelenke. Sie hängt insbesondere auch von der Muskulatur im Schulter- und Rumpfbereich ab, da ja die Vorderbeine nur über eine muskuläre Aufhängung am Körper befestigt sind.  

 

Unter den Schwerpunkt treten 

 

Aktivierung der Hinterhand bedeutet, dass das Pferd aktiv aus der Hinterhand unter den Schwerpunkt tritt. Es zeigt weich federnde Elastizität in der Vor- sowie Hinterhand, die über einen schwingenden Rücken ergänzt wird.  

 

Auch der Begriff der Anlehnung wurde im Westernreiten durch "Nachgiebigkeit" ersetzt. Man spricht auch von der Dehnungsbereitschaft des Pferdes. Nachgiebigkeit bedeutet, dass das Pferd die Reiterhilfen willig annimmt und dabei Dehnungsbereitschaft zeigt, um einen positiven Spannungsbogen entwickeln zu können. 

 

In den ersten 3 Stufen der Skala, der sogenannten Gewöhnungsphase, reden wir über Takt, Losgelassenheit und Nachgiebigkeit.

Bereits ab Stufe 2 richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Entwicklung der Schubkraft, welche über die Punkte Losgelassenheit, Nachgiebigkeit, Aktivierung der Hinterhand und Geraderichten erreicht werden. Ab der 3. Stufe können wir mit der Entwicklung der Tragkraft beginnen, welche dann im letzten Schritt die absolute Durchlässigkeit als Ziel hat. 

 

Die vollkommene Durchlässigkeit 

 

Unser oberstes Ziel ist die vollkommene Durchlässigkeit. Das bedeutet: das Pferd stellt uns seine ganze Kraft, Athletik, Kondition und Koordination zur Verfügung. Es sollte zu jeder Zeit gehorsam und willig an den Hilfen stehen. 

 

Wenn wir auf die Gebrauchsreiterei zurückgreifen, sollte das Pferd einhändig an den Hilfen laufen, damit der Reiter mit der anderen Hand seine Arbeit erledigen kann. 

Weil das Westernreiten aus der Arbeitsreiterei kommt, ist es auch unser Ziel, das Pferd sitzgesteuert ohne große Einwirkung des Zügels manövrieren zu können. Wie beim Klassischen Reiten geht es auch beim Westernreiten um Kontrolle, Willigkeit und Durchlässigkeit und Präsenz vom Pferd bei der Arbeit. 

 

Neue Erkenntnisse 

 

Wenn wir über den Tellerrand schauen, nehmen wir neue Erkenntnisse wahr und lassen sie in unsere Arbeit einfliessen. Erkenntnisse über Biomechanik, Trainingstechniken und Zucht sind massgebend für eine Weiterentwicklung einer pferdegerechten Reitweise. 

 

Die heute gezüchteten Pferde bringen eine unglaubliche Athletik und Veranlagung mit. Dem muss der Reiter gerecht werden und er wird lernen müssen, wie er mit seinem Sitz und System der Einwirkung, Losgelassenheit und Balance, aber auch mit geeigneter Ausrüstung das Pferd sowohl physisch als auch mental besser trainieren kann. 

 

Wir möchten das Pferd als unseren vierbeinigen Partner möglichst lange und möglichst gesund bei uns haben. Und wir wollen die Pferde so fördern, dass es ihnen gut geht und wir gemeinsam mit ihnen eine Harmonie erarbeiten. 

 

 

Reiten auf gebogenen und geraden Linien 

 

 

Genau wie in der Dressur ist es auch für Westernpferde wichtig, Hufschlagfiguren zu reiten, wie Schlangenlinien, Zirkel und Volten. Das Ziel ist es, exakte Wege zu verfolgen und zu fördern. Die Linienführung, Biegung und Schulterkontrolle sind ein wichtiger Teil davon. Damit die vorgegebenen Linien und Punkte genauer eingehalten werden können, empfiehlt sich der Einsatz von Pylonen, Stangen oder Markierungen im Sand.  

 

Vorsicht jedoch vor dem „Standard-Programm“! Wenn der Reiter immer die gleiche Linienführung reitet, wird sich das Pferd irgendwann auf die Gewohnheit verlassen und weniger auf die Hilfen des Reiters achten.  

 

Gebogene Linien nutzt man zur Gymnastizierung und zum Geraderichten des Pferdes. 

Dabei werden beide Seiten des Pferdes gleichmässig gearbeitet, so dass sich das 

Pferd durch den ganzen Körper biegt und lernt, mit den Hinterbeinen in die Spur der Vorderbeine zu treten. Wenn dies geschieht, ist das Pferd auf dem Zirkel geradegerichtet. Mit den Zügelhilfen stellt und biegt der Reiter Pferdekopf und -hals in die Bewegungsrichtung. Wenn nötig begrenzt der äussere Schenkel ein Ausfallen der Hinterhand des Pferdes. Der innere Schenkel unterstützt und fördert die Längsbiegung im Pferdekörper. Der Reiter sitzt in Bewegungsrichtung und vermeidet es dabei, Gewicht auf die innere Schulter zu geben.  

 

Der Ausbildungsstand des Pferdes, wie auch die Geschwindigkeit bzw. Gangart, bestimmt den Durchmesser der Figuren wie Schlangenlinien, Volten und Zirkel. Der Schwierigkeitsgrad steigt, je enger die die zu reitenden Kreise angelegt werden. Das Pferd muss vermehrt Kraft auf die Hinterhand aufnehmen, den Schwerpunkt zurücksetzen und der Anspruch an die Dehnung steigt. 

Es ist sinnvoll, immer wieder die Grössen der Kreise zu variieren und regelmässig die Hand zu wechseln.

Das Reiten auf genauen, gebogenen Linien verbessert das Abstimmen und das Heranschmiegen des Pferdes an die reiterlichen Hilfen und ermöglicht es uns, eine genauere Rückmeldung darauf zu erhalten.

So erkennen wir auch, ob das Pferd sich geradegerichtet unter dem Reiter bewegt oder ob wir Schwierigkeiten haben, die Linie zu halten.  

 

In der Zirkelarbeit im Galopp, in unterschiedlichen Tempi, zeigt sich schnell, ob sich das Pferd grundsätzlich taktrein, losgelassen, in natürlicher Haltung und geradegerichtet, mit gutem Schub aus der Hinterhand, im Gleichgewicht ausbalanciert vorwärtsbewegt und für den Reiter einfach zu lenken ist.

 

Das Pferd sollte mit minimalen Zügel-, Gewichts- und Schenkelhilfen auskommen und die Linie auf dem Zirkel halten.  

 

 

Die Schulterkontrolle ist das A und O 

 

Ohne die Kontrolle der Schulter kann das Pferd nicht auf der vorgegebenen Linie gehalten werden. In der Ausbildung eines Westernpferdes beginnt man daher in der zweihändigen Führung. Man spricht dabei von einem Zügeldreieck, was in Innen- und Aussenstellung geritten wird. Dies kann auf kreisförmigen oder geraden Hufschlagfiguren geschehen.  

 

Das Pferd bestimmt das Tempo der Umstellung. Der Reiter sollte seinem Pferd die Möglichkeit geben, die Balance der Schulter ruhig und ohne Taktverlust von der einen Seite zur anderen Seite zu schieben, ohne die Linie zu verlieren. 

 

In der Arbeit mit Pferden kommt immer zuerst die Genauigkeit und dann erst die Geschwindigkeit. 

 

Diese Übung fördert auch das Verständnis und den Gehorsam gegenüber dem Neckreining und den allgemeinen reiterlichen Hilfen.  

 

Auf der ganzen Bahn gibt es eine weitere gute Übung zur Schulterkontrolle: Auf der langen Seite von Wand zu Wand. Hier verlässt man den Hufschlag mit Innenstellung und kehrt ohne Stellungswechsel über die Schulter auf den Hufschlag zurück. Auch bei dieser Übung sitzt der Reiter in Bewegungsrichtung.  

 

Zur Verbesserung der Schulterkontrolle macht es Sinn, auch Kleeblätter, Vierecke mit geraden Linien oder Ecken zu reiten. Je mehr sich das Becken des Pferdes dabei nach hinten neigt, desto mehr Bewegungsenergie wird aufgenommen und die Schulter kann sich dadurch freier bewegen. Diese positive Spannung erleichtert die Verschiebung der Schulter in eine neue Richtung.  

 

 

Übungen zu Takt, Losgelassenheit und Aktivierung der Hinterhand 

 

Jeder Reiter möchte sein Pferd locker und mit Leichtigkeit reiten. Doch locker ist nicht gleich leicht! 

 

 

 Wie sieht es denn in der Praxis aus? Wie oft hast Du im Reitunterricht schon Sätze gehört wie: “den Hals fallen lassen”, “vorwärts abwärts reiten”, “entspannen” oder “leichte Hand”? Meiner Meinung nach sind diese Aussagen nicht immer korrekt. Locker ist nicht gleich entspannt! Ein Skifahrer, der das Lauberhornrennen körperlich oder mental verspannt bewältigt, wird das Rennen nicht gewinnen. Und wenn seine Körperspannung zu klein und er mental zu relaxt ist, dann ist er ebenfalls nicht in der 

Lage, die gewünschte Leistung zu erbringen. Also liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.  

 

 

 

 

Eine gute Entwicklung der Lockerheit ist die Kernaufgabe, um eine gesunde, sportliche Bewegung zu erreichen. Das Ziel ist die Losgelassenheit in positiver Spannung bei Athleten und Pferden. Doch das Pferd ist nur ein Teil des Puzzles, der Reiter ist das andere. Auch dieser braucht Losgelassenheit, um mit dem Pferd zusammen in Einklang zu kommen.  

 

Nachgiebigkeit an der Hand und Dehnungsbereitschaft entwickeln  

 

Die positive Körperspannung mit einem sich selbsttragenden und in Losgelassenheit schwingenden, zufriedenen Pferd ist das oberste Ziel.  

 

“Das Pferd soll den Hals fallen lassen…” Das hört man ebenfalls oft im Reitunterricht. Und wenn dies geschieht, denkt der Reiter meist, dass das Pferd den Hals senkt, weil es sich entspannt. In diesem Moment wird der Reiter automatisch passiv und hört auf zu reiten, weil er das Pferd nicht stören möchte. Als Folge davon entzieht sich das Pferd, hebt den Kopf und beginnt wieder gegen den Zügel zu ziehen. 

 

Aktive Aufspannung eines Pferdes im Galopp 

Leider ist dies ein Missverständnis in der Umgangssprache. „Den Hals fallen lassen“ hat nichts mit Losgelassenheit zu tun. Ein entspanntes Pferd ist nämlich nicht in der Lage, schwungvoll vorwärtszuschreiten, zu traben oder zu galoppieren.  

 

Losgelassenheit bedeutet also eine aktive Federung, welche das Pferd dazu bringt, sich selbst zu tragen und sich mit schwingendem Rücken zu bewegen. 

 

 

Abwechslung ist wichtig: Übungen sollten verschiedene Elemente beinhalten  

 

Ganze Bahn, Zirkel und viele Handwechsel aktivieren das Pferd und helfen ihm, die positive Spannung zu erreichen. Der Rumpf des Pferdes wird nach oben, gegen die Schwerkraft angehoben und in der Stützbeinphase wieder abgefedert. Das Pferd soll lernen, sich zu tragen. Auch für den Hals gibt es in diesem Sinne keine korrekte 

Position, die auf jedes Pferd gleich anwendbar ist. Im Gegenteil, da der Hals in Kombination mit dem Rumpf aktiv getragen werden muss, ist es wichtig, die Position immer wieder zu verändern. Durch diese Veränderung können wir die Muskelpartien abwechselnd fördern und schonen.  

 

Übergänge und Tempounterschiede  

 

Übergänge und Tempounterschiede in allen Gangarten sind für jedes Pferd wichtig, egal, in welchem Ausbildungszustand es sich befindet. Das Pferd sollte auf minimale Hilfen reagieren. Mit einem Abkippen des Beckens, Bügeldruck oder einem leichten Anheben des Zügels wird das Pferd verlangsamt oder durchpariert. Das gleiche gilt auch für das Erhöhen des Tempos über das Anschieben im Sitz und dem Einsetzen der Beinhilfen, die das Pferd im Tempo beschleunigen. Das Reiten von Übergängen und Tempounterschieden fördert die Aktivierung der Hinterhand grundlegend. 

 

Stangenarbeit  

Stangenarbeit fördert den Takt, die Losgelassenheit, die Trittsicherheit und die Aufmerksamkeit. Stangen können im Schritt, Trab oder Galopp überwunden werden.Die Abstände der jeweiligen Stangen in den verschiedenen Gangarten sind im EWU Regelbuch 2021 klar definiert. Zu Beginn jedoch sollten die Abstände immer zur Schrittlänge des jeweiligen Pferdes passen, damit diese im Takt überwunden werden können. Auch hier ist es möglich, die Länge der Schritte, mit der Wahl der Abstände zu beeinflussen.  

 

Geländereiten  

 

Geländereiten fördert die mentale und körperliche Entspannung und darf in keinem 

Trainingsplan fehlen. Je nach Gelände und Länge der Ritte wird die Kraft und Ausdauer gefördert. Das Pferd lernt, sich auf schwierigem Untergrund auf den Reiter zu verlassen, findet Balance, Losgelassenheit, Takt und Schubkraft.  

 

Quellen:  

Pferd in Positiver Spannung – Stefan Stammer 

FN Richtlinien Grundausbildung Band 1

Die WesternreitLehre – Petra Roth-Leckebusch 

Regelbuch EWU 2021 

H.Dv.12 – die Heeres-Dienstvorschrift