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Auf das Umfeld kommt es an!

Wie Dein Pferd Schritt für Schritt sicherer wird

Autorin: Sarah Matti, Fotos: Martin Hlavac

 

Langsam erwacht der Frühling. Hier in Gstaad schmelzen die letzten Schneefelder dahin und wir Reiter machen unsere Sachen parat, um mit unseren Vierbeinern wieder vermehrt ins Gelände zu gehen. Hast Du eine Winterpause hinter Dir oder hast Du den ganzen Winter hindurch normal trainiert? Vielleicht warst Du ein bisschen mehr in der Halle und etwas weniger im Gelände?

 

Nun laden Dich die ersten kräftigen Sonnenstrahlen definitiv dazu ein, sich Dein Pferd zu schnappen und die ersten Frühlingstage zu zweit im Gelände zu geniessen! Doch was ist, wenn das Pferd nun plötzlich sehr angespannt oder auch ängstlich ist?

 

Wenn Ausreiten zum Problem wird

Als Pferdetrainerin treffe ich oft auf Leute, für die es ein Problem bedeutet, mit ihren Pferden ins Gelände zu gehen. Warum ist das so? Warum verhält sich ein Pferd anders im Gelände, als auf dem Reitplatz oder im Stallgelände? Diese Verhaltensveränderung hat mit dem Sicherheitsinstinkt der Pferde zu tun. Die Pferde sind von Natur aus Fluchttiere, das bedeutet, dass die Pferde dafür 'programmiert' sind, zuerst zu handeln und dann erst zu denken. Für uns Menschen kann das zu Problemen führen, denn hier in der kleinen Schweiz, wo wir eng aufeinander leben, wird es sehr schnell gefährlich, wenn das Pferd nicht zuerst denkt und erst dann handelt!

 

"Wenn das Pferd im Fluchtmodus agiert, kann bereits das Verlassen seiner Boxe oder das auf-die-Weide-Führen zu einem ernsthaften Problem werden."

Pferde mögen es, Follower zu sein

Zuerst müssen wir also verstehen, wie ein Pferd genau funktioniert. Für das Pferd macht es eigentlich gar keinen Sinn, einfach ausreiten oder spazieren zu gehen. Für das Pferd wäre es total in Ordnung, einfach zu Hause in seinem sicheren Umfeld bleiben zu können, zusammen mit seinen Artgenossen. Warum sollte es denn überhaupt mit uns mitkommen?

 

Pferde sind Herdentiere und die meisten sind besser im Folgen als im Leiten und möchten entsprechend lieber ‘Followers’ sein. Das heisst für uns Menschen: wenn wir dem Pferd ein gutes Umfeld, also einen guten Ort zum Sein, Balance und Leadership offerieren können, dann ist es willig, uns zu folgen und daran interessiert, diesen Zustand zu erhalten.

 

Warum spielt das Umfeld im Denken eines Pferdes so eine grosse Rolle?

Ein Pferd hat drei Umfelder (Regionen), in denen es sich aufhalten kann:

  • Das erste Umfeld ist für mich das wichtigste und elementarste in der Pferdeausbildung. Alles beginnt mit dem ersten Umfeld und auch die ganzen Vertrauensarbeiten am Boden starten hier. Zum ersten Umfeld gehört alles dazu, in dem sich das Pferd 24 Stunden lang aufhalten kann: die Box mit Auslauf, der Offenstall oder der Aktivstall. Alles, was in diesen Bereichen geschieht, gehört zu diesem ersten Umfeld.
  • Das zweite Umfeld schliesst folgende Orte mit ein: Die Weide, der Reitplatz, den Pferdetransporter, die Anbinde, der Weg zur Weide und der ganze Umschwung unseres Stalles bis zu unserer Grundstücksgrenze, wo wir keinen eigenen Boden mehr haben.
  • Das dritte Umfeld befindet sich auuserhalb der Reitbetriebs, der Weiden und des Umschwungs. Es ist für das Pferd ungewohntes und deshalb gefährliches Terrain, weil es hier nicht zu Hause ist und sich nicht darauf verlassen kann, hier sicher zu sein.

Wenn wir diese drei Umfelder betrachten, dann sollte uns etwas auffallen: jedes Mal, wenn wir vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten Umfeld wechseln, wird es schwieriger für das Pferd.

 

"Was im ersten Umfeld nicht funktioniert, funktioniert auch nicht im zweiten oder im dritten."

Es kommt vor, dass Menschen auf mich zukommen, welche mit ihrem Pferd nicht vom Hof gehen können. Das Pferd rennt durch, es hält unvermittelt an und dreht um; all solche Sachen. Um diesen Menschen zu helfen, versuche ich herauszufinden, wie denn die Kommunikation dieses Pferd-Mensch-Paares im ersten und zweiten Umfeld ist. In den allermeisten Fällen sind Probleme, die sich im dritten Umfeld zeigen, bereits im ersten oder zweiten sichtbar. Oft hat es damit zu tun, dass das Pferd seinen Menschen nicht als ranghöheren Teil der Partnerschaft anerkennt. Daher vertraut es seine Sicherheit nicht dem Menschen an, sondern nimmt sie in die eigene Hand.

 

Wie ist dieses Problem zu lösen?

Lead by Example.....Wenn wir Geschmeidigkeit, Feinfühligkeit und Balance in einem Pferd wünschen, müssen auch wir Geschmeidigkeit, Feinfühligkeit und Balance beweisen. Dies gilt auch in unserer Denkweise gegenüber dem Pferd. Sind wir dazu in der Lage, so führen wir das Pferd, indem wir ihm ein Vorbild sind. Dazu gehört auch, dass wir es dem Pferd so einfach wie möglich machen, das Gewünschte auszuführen. Wenn ich als Mensch schon unsicher bin indem was ich mache, wie soll denn das Pferd sein Vertrauen in mich setzen?

 

Ich kann ihm nicht einfach sagen, hey, es passiert schon nichts!

 

Das funktioniert bei einem Pferd nicht. Hier muss ich gutes Leadership beweisen und auch mich selber in Geduld üben. Ich muss mich selber an der Nase nehmen, etwas gewissenhaft zu erarbeiten. Auch wenn dies bedeutet, dass es für uns als Mensch anstrengend wird, damit wir es dem Pferd so einfach wie möglich machen können.

 

Aber wie beginne ich?

Ich arbeite am Boden und starte im ersten Umfeld, bis das Pferd ruhig und relaxt ist. Sobald dies regelmässig der Fall ist, mache ich den nächsten Schritt und arbeite an der Grenze vom ersten zum zweiten Umfeld. Dies ist noch kein grosser Schritt, aber ein sehr wichtiger. Wenn dieser Schritt vom ersten zum zweiten Umfeld nicht korrekt gemacht wird, sprich: die kleinsten Anzeichen der Unsicherheit des Pferdes wahrgenommen werden und daran gearbeitet wird, kann sich das in der Zukunft rächen.

 

Also bin ich sehr bedacht darauf, die kleinsten Veränderungen meines Pferdes in der Körpersprache zu erkennen und das Richtige im richtigen Moment zu machen, damit ich meinem Pferd die Sicherheit bieten kann, die es benötigt. Es geht ja schliesslich nicht nur um die Sicherheit des Pferdes, sondern auch um die meinige!

 

Der Erfolg kommt in kleinen Schritten

Wenn es dann soweit ist und ich mich im zweiten Umfeld genau so souverän bewegen kann, sei es jetzt am Boden oder geritten, dann folgt der nächste Schritt und ich kann mit meinem Pferd ins dritte Umfeld gehen. Dies wiederum wird auch wieder in kleinen Schritten gemacht, d.h. ich bewege mich zuerst nur an die Grenze des zweiten und dritten Umfeldes.

 

Um dem Pferd klarzumachen, dass das dritte Umfeld gar nicht so gefährlich ist und das es sogar schön sein kann, in dieses dritte Umfeld zu gehen! Wir müssen immer daran denken, dem Pferd einen Grund zu geben, warum es mit uns mitkommen soll. Und wenn es mit uns mitkommt, dann muss es für das Pferd eine positive Erfahrung sein. Dann kommte es auch in Zukunft immer wieder gerne mit.

Umgang mit schlechten Erfahrungen

Es gibt auch Pferde, die schlechte Erfahrungen im dritten Umfeld gesammelt haben. Das kann ein Unfall sein, ein Fahrradfahrer, der es erschreckt hat oder eine andere Erfahrung, welche das Pferd massgeblich geprägt hat. Pferde verknüpfen eine Situation mit einem Bild und einem dazugehörigen Gefühl. Ein Beispiel: wenn Dein Pferd an einer Stelle immer Angst hat, dann ist es wichtig, mit dem Pferd an dieser Angst zu arbeiten. Das bedeutet, dieser Angstplatz wird zu einem guten Platz. Und zwar auch in unserem Kopf! Denn das Pferd ist unser Spiegel und wenn wir die ganze Zeit schon an diese Stelle denken, „Oh nein, da wird mein Pferd wieder erschrecken"„ dann wird dies auch so passieren. Da wären wir wieder beim Thema lead by example. 

 

Zeit und Geduld

Wenn wir uns aber die Zeit nehmen, unserem Pferd diese schwierige Stelle in aller Ruhe zu zeigen und wenn wir ihm an diesem Platz Komfort erlauben, dann können wir die negativen Verknüpfungen mit der Zeit lösen. Dies muss mehrmals hintereinander ein positives Erlebnis sein für das Pferd; nur so wird es funktionieren. Zeit darf hier keine Rolle spielen, denn wie lange es geht, bestimmt Dein Pferd - aber auch Deine Fähigkeit, im richtigen Zeitpunkt das Richtige zu machen!

 

Die drei Umfelder geben uns einen Rahmen, in welchem wir arbeiten können.

Folgendes hilft uns als Richtlinie: wenn wir im dritten oder zweiten Umfeld an unsere Grenzen gelangen, dann gehen wir einfach ins zweite oder erste zurück und arbeiten da noch mal gründlich nach, um dann wieder einen Schritt weiter zu gehen und uns dort weiter zu entwickeln.

 

  • Dein Pferd wird Dir zeigen, wenn Du zu schnell vorgehst und es zeigt Dir auch, wenn es bereit dafür ist.
  • Höre auf Dein Pferd und höre auf Dein Bauchgefühl.

Denn das ist für mich der wahre Kern der Arbeit mit dem wunderbaren Partner Pferd.

 

in diesem Sinne wünsche ich Dir einen schönen Frühling:

STAY SAFE AND RIDE A HORSE!